Selektives Interesse an der Wahrheitsfindung?

6. Januar 2024

Laut einem kürzlich publizierten Entscheid vom 24. Oktober 2023 scheint das Bundesgericht davon auszugehen, Gerichte seien bei schweren Tatvorwürfen verpflichtet, unmittelbare Tatzeugen selber zu befragen, sofern die Wahrnehmungen des jeweiligen Tatzeugen für die Beurteilung der Vorwürfe relevant sind.

Bei schweren Straftaten würde es demnach gemäss höchstrichterlicher Ansicht nicht ausreichen, wenn Tatzeugen “nur” von der Staatsanwaltschaft unter Gewährung der Parteirechte und damit unter Wahrung des Konfrontationsanspruchs befragt werden. Nicht erklärlich ist, warum das Bundesgericht Wahrnehmungen Dritter zu einem Tatablauf als weniger wichtig betrachtet, wenn Beschuldigten keine schweren Taten vorgeworfen werden.  Schliesslich sind die Richter in jedem Fall der Wahrheitsfindung verpflichtet. Wer zu Unrecht verurteilt wird und mit einem Strafregistereintrag leben muss, ist mit der “halben” Wahrheit” nicht zufrieden.

lic. iur. HSG Nico Gächter, Rechtsanwalt & Notar, rtwp rechtsanwälte & notare, Rosenbergstrasse 42b, 9000 St. Gallen

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