Beweisschwierigkeiten

21. Oktober 2024

Beweisschwierigkeiten

Erleidet jemand einen Schaden, sei es wegen einer Vertragsverletzung der anderen Vertragspartei oder wegen einer unerlaubten Handlung, z.B. durch Verursachen eines Verkehrsunfalls, muss der Geschädigte nicht nur die Vertragsverletzung bzw. unerlaubte Handlung beweisen, sondern auch den eingetretenen Schaden und den Kausalzusammenhang zwischen Schaden und schädigender Handlung, gegebenenfalls auch das Verschulden des Schädigers. Der Beweis der schädigenden Handlung dürfte in den meisten Fällen am wenigsten Probleme verursachen, aber auch diesbezüglich können sich Überraschungen ergeben: So verspürte in einem jüngeren Fall eine Frau bei Benützung eines Lifts einen Ruck und wollte den Lift sofort verlassen, klemmte sich dabei aber einen Arm ein und verletzte sich dabei; sie erlitt einen bleibenden Gesundheitsschaden. Den Beweis, dass der Lift fehlerhaft war, konnte sie aber nicht erbringen, weshalb ihre Klage gegen den Lifthersteller abgewiesen wurde (Bundesgerichtsentscheid 4A_635/2020). Ein bei erster Betrachtungsweise klarer Fall führte also zu einem unerwarteten Ergebnis.

Häufig ergeben sich Streitigkeiten bei Körperverletzungen, wenn die obligatorische Unfallversicherung anfänglich Leistungen erbringt (Heilungskosten, Taggelder), diese aber nach einiger Zeit einstellt, weil der Kausalzusammenhang weggefallen sei. Begründet wird dies jeweils damit, dass nicht mehr die Unfallfolgen, sondern vorbestehende degenerative Schädigungen die längerdauernde Arbeitsunfähigkeit bewirkten. Die seinerzeitige Verletzung wird als nicht mehr kausal, d.h. relevant betrachtet, sondern nur als Auslöser der effektiv degenerativ verursachten Probleme. Der Beweis für die Ursache der anhaltenden körperlichen Probleme, die die Arbeitsunfähigkeit verursachen, muss dann mithilfe eines medizinischen Gutachtens geführt werden, dessen Ausgang oft nicht vorhersehbar ist. Solche Gutachten endigen häufig mit einem für den Verletzten negativen Ergebnis, weil jedermann mit zunehmendem Alter körperliche Veränderungen erleidet, die sich oft nach einem Unfall erstmals auswirken.

Erhebliche Schwierigkeiten bietet auch der Beweis des Schadens, der rechtlich gesehen in einer Vermögensverminderung resultiert, z.B. aufgrund eines Erwerbsausfalls, der Einschränkung in der Haushaltstätigkeit, der Kosten für eine Pflege usw. Betrachtet man die Praxis des Bundesgerichts, reibt man sich die Augen, werden doch die Anforderungen immer strenger, sei es nun aus prozessualen Gründen, indem übersteigerte Anforderungen an die ausreichende Behauptung des Schadens verlangt werden, seien es materielle Gründe, was die Schätzung eines künftigen Schadens betrifft. So lässt sich der bisher, d.h. bis zu einem Urteil des Gerichts entstandene Schaden grundsätzlich genau berechnen; bei der Berechnung des künftigen Schadens bei andauernder Arbeitsunfähigkeit, Pflegebedürftigkeit usw. ist hingegen eine Schadensschätzung gemäss Art. 42 Abs. 2 des Obligationenrechts (OR) vorzunehmen. Bereits dafür, dass überhaupt eine Schätzung vorgenommen wird, verlangt das Bundesgericht konkrete, manchmal kaum zu erbringende Nachweise als Grundlage für die Schätzung. So urteilte es zwar beispielsweise im Entscheid 145 III 225 aus dem Jahr 2019, dass bei künftig ungewisser Weiterentwicklung des Schadens die Streitsache auf der Basis einer Prognose der zukünftigen Entwicklung „nach der allgemeinen Lebenserfahrung“ geschätzt werden könne, während es aber im Urteil 4A_6/2019 die Klage auf Ersatz von Pflegekosten abwies, weil allgemeine Erfahrungswerte und individuelle Parameter zum künftigen Verlauf der Unfallfolgen für Pflege und Betreuung fehlten. Die Vorinstanz, das Handelsgericht Zürich, hatte noch entschieden, dass zwar keine zuverlässigen Anhaltspunkte zum Zusammenhang zwischen Lebensalter und Zunahme des Pflegeaufwands bestünden; hingegen sei ein solches Risiko wahrscheinlich, weshalb es den Haftpflichtigen verurteilte, den geschätzten Aufwand für Pflege, der sich mit zunehmendem Alter erhöhen würde, zu entschädigen. Das Bundesgericht liess den Geschädigten aber leer ausgehen, weil der Schadensnachweis nicht erbracht worden sei.

Die letzten beiden Urteile, die sich widersprechen, zeigen exemplarisch die Schwierigkeiten auf, die einen durch Vertragsverletzung oder unerlaubte Handlung betroffener Geschädigten bei einer prozessualen Durchsetzung seiner Ansprüche treffen können. In den meisten Fällen empfiehlt es sich deshalb zu versuchen, mit dem Schädiger, gegebenenfalls dessen Haftpflichtversicherung, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Ein Prozess lohnt sich nur, wenn man sich seiner Sache sehr sicher ist oder wenn die Gegenpartei für eine Lösung keine Hand bietet.

(verfasst von: Dr. iur. Andreas Wiget, Rechtsanwält & Notar, rtwp rechtsanwälte & notare, Rosenbergstrasse 42b, 9000 St. Gallen)

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