27. März 2020
Scheidungen sind emotional sehr belastend. Um Betroffene nicht nur rechtlich, sondern auch menschlich ideal begleiten zu können, bewährt sich der Ansatz des «collaborative law and practice». Folgendes Interview über die Vorzüge dieser Methodik führte smartmedia mit Rechtsanwalt Dr. Stephan Thurnherr, Präsident des Verbandes clp Schweiz:
Stephan Thurnherr, Fälle des Familien- und Erbrechts haben eine starke emotionale Komponente. Wie kann man diese entschärfen?
Richtig, in diesen und andern Rechtsgebieten ist das Konfliktpotenzial gross. Im Familienrecht haben Anwältinnen und Anwälte meist mit Scheidungen, Sorgerechtsthematiken und komplexen finanziellen Fragen zu tun. Und auch Erbteilungen können besonders konfliktanfällig sein. Um solche und Konflikte generell, darunter auch Vertragsstreitigkeiten, Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und Institutionen zu entschärfen, wurde das Verfahren «collaborative law and practice» (clp) entwickelt. Dieses stammt aus Kalifornien und Kanada. Es findet in der Schweiz zunehmend Verbreitung und erzielt bemerkenswerte Erfolge.
Was darf man sich darunter vorstellen?
clp ist ein alternatives, stets aussergerichtliches Verfahren, um Konflikte zu lösen. Es eignet sich für Personen, die das Resultat ihres Konflikts nicht Anwälten und Gerichten überlassen und darüber hinaus rechtlich und emotional gut beraten sein wollen. In der Schweiz besteht eine Vereinigung von rund 80 Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälten sowie Fachpersonen für Kinder, Paare, Familien und Finanzexperten, die sich darauf verpflichtet haben, Konflikte in all ihren Problemstellungen in einem partnerschaftlichen Verfahren ohne Streit und Gericht zu lösen. Ich praktiziere nur noch nach dieser Methode.
Inwiefern unterscheidet sich das clp-Prinzip von einer Mediation?
In der Mediation ist der Mediator strikte neutral und versucht, mit den Parteien eigenverantwortliche Lösungen zu entwickeln. Das misslingt nicht selten darum, weil eine Partei aus verschiedensten Gründen nicht in der Lage ist, diese Verantwortung für sich zu übernehmen und umzusetzen. So kommt es immer wieder vor, dass Parteien einer gescheiterten Mediation ins clp wechseln.
Was passiert nach diesem Wechsel?
Bei clp hat jede Partei einen clp-Anwalt/ eine clp-Anwältin, der/die sie im Verhandlungsprozess unterstützt und auch Optionen entwickelt, die dann in einen Vierer- Verhandlungsprozess eingebracht werden. Das interdisziplinäre Team wird je nach Bedarf ergänzt durch Finanzexperten oder Fachpersonen für Kinder oder für Familien und Paare. Der Unterschied zu herkömmlichen Vergleichsverhandlungen besteht darin, dass die Anwälte auch als Mediatoren (oder dementsprechend) ausgebildet sind. Das ermöglicht es ihnen, die Verhandlungen nach den Vorgaben von clp interessenbasiert, aber doch allen Gesprächspartnern gegenüber respektvoll und verantwortlich zu führen und zu begleiten.
(dieses Interview ist u.a. am 30. Januar 2020 in der Printausgabe von 20minuten erschienen)