Neues Ergänzungsleistungsrecht – Sparen bei den Ärmsten

2. Januar 2021

Neue Ergänzungsleistungsregelung ab 01.01.2021

Zurzeit beziehen rund 340’000 Rentnerinnen und Rentner Ergänzungsleistungen. Die Gesamtkosten betrugen im vergangenen Jahr rund CHF 5,2 Mia. Das Bundesamt für Sozialversicherungen rechnet mit einer ansteigenden Zahl von Bezügern. Parlament und Bundesrat wollen deshalb sparen. Nachfol­gend werden die wichtigsten Anpassungen erläutert.

Stärkere Berücksichtigung des Vermögens

Bisher gibt es im Ergänzungsleistungsgesetz (ELG) keine Vermögenseintrittsschwelle. Es existieren sogenannte Vermögensfreibeträge von CHF 37’500 für alleinstehende Personen, CHF 60’000 für Ehepaare und CHF 15’000 für Waisen und rentenberechtigte Kinder. Bei Vorhandensein einer selbstbewohnten Liegenschaft wird ein zusätzlicher Freibetrag von CHF 112’500 bzw. CHF 300’000 (wenn ein Ehegatte im Heim lebt) berücksichtigt.

Künftig gilt eine Eintrittsschwelle von CHF 100’000 für alleinstehende Personen, CHF 200’000 für Ehepaare und CHF 50’000 je Kind (sofern in die EL-Berechnung eingeschlossen). Der Wert einer selbstbewohnten Liegenschaft bleibt bei der Prüfung der Vermögenseintrittsschwelle unberücksichtigt.

Die Freibeträge für selbstbewohntes Wohneigentum bleiben unverändert. Die allgemeinen Vermögensfreibeträge werden für alleinstehende Personen auf neu CHF 30’000, für Ehepaare CHF 50’000 gesenkt.

Rückerstattungspflicht der Erben

Neu eingeführt wird eine Rückerstattungspflicht der Erben. Diese müssen nach dem Tod eines EL-Bezügers die in den zehn Jahren vor dem Ableben bezogenen Gelder zurückerstatten, sofern und soweit der Nachlass CHF 40’000 übersteigt.

Bei unverändert hohen Freibeträgen für selbstbewohntes Wohneigentum können die massgeblichen Rückzahlungsverpflichtungen der Erben wohl selten ohne Verkauf der Liegenschaft erbracht werden.

Berücksichtigung des Vermögensverzehrs

Bislang wurde bei der EL-Berechnung nur Vermögen angerechnet, auf das welches freiwillig, d.h. oh­ne rechtliche Pflicht oder gleichwertige Gegenleistung, verzichtet wurde. Ins Gewicht fielen dabei vor allem Schenkungen an die Kinder (z.B. anlässlich der Auszahlung von Säule 3a- Guthaben bzw. Erbanfällen) oder die zu einem günstigen Preis auf die Nachkommen übertragenen Liegenschaften (sogenannte «ge­­mischte Schenkungen»).

Künftig wird auch bei übermässigem Vermögensverbrauch ein Vermögensverzicht angenommen. Bei Vermögen über CHF 100’000 wird ein Vermögensverzicht angenommen, wenn mehr als 10% des Vermögens in einem Jahr aufgezehrt wird. Bei einem Vermögen unter CHF 100’000 gilt eine Grenze des jährlichen Vermögensverbrauchs von CHF 10’000. Es gibt jedoch gewisse Ausnahmen, die den Mehr­verbrauch rechtfertigen, z.B. eine notwendige Investition zum Werterhalt der Liegenschaft oder eine zahnärztliche Behandlung.

Bei IV- und Hinterlassenenrenten gilt die Regelung ab Entstehung des Rentenanspruchs. Besonders problematisch ist, dass die erwähnte «Vermögensverzehrsschranke» bei Altersrentnern bereits 10 Jahre vor Beginn des Rentenanspruchs gilt. Mit anderen Worten: Wer sich ordentlich mit 65 Jahren pensionieren lässt, muss ab dem 55. Altersjahr darauf achten, dass er ohne wichtige Gründe nicht mehr als 10% seines Vermögens verbraucht, weil er vielleicht mit 85 Jahren (30 Jahre später) einmal Ergänzungsleistungen beziehen wird. Alle künftigen Rentner, die ab Pensionierung noch das Leben geniessen, Reisen, Golf spielen oder sich ein neues Auto leisten wollen, laufen damit Gefahr, später einmal Einschränkungen bei den Ergänzungsleistungen in Kauf nehmen zu müssen. Diese Regelung ist meines Erachtens skandalös und eine starke Bevormundung der Bürger.

Einkommen Ehegatte

Bei Ehepaaren werden Einnahmen und Ausgaben beider Ehepartner bei der Berechnung des Ergänzungsleistungsanspruchs berücksichtigt. Ist ein Ehegatte voll erwerbsfähig, werden nach geltendem Recht 2/3 seines Einkommens an die Einnahmen angerechnet. Künftig werden es 80% sein.

Grundbedarf für Kinder

Neu wird der Grundbedarf für Kinder nach deren Alter berücksichtigt. Für Kinder unter 11 Jahren wird der anrechenbare Lebensbedarf gesenkt, beim ersten Kind von CHF 10’170 auf CHF 7’200.—, beim zweiten auf CHF 6’000, beim dritten auf CHF 5’000 pro Jahr. Für Kinder ab 11 Jahren betragen die Kindergrundbeträge neu CHF 10’260 für die ersten beiden Kinder, CHF 6’840 für zwei weitere Kinder und CHF 3’420 ab dem 5. Kind, was eine leichte Anhebung beinhaltet.

Im Gegenzug können die Eltern die Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung (Kindertagesstätten, Tagesfamilien etc.) als Ausgaben geltend machen. Bevorzugt werden künftig also Eltern, die ihre Kinder nicht selbst betreuen. Das klassische Familienbild mit selbsterziehenden Eltern hat damit ausgedient.

Erhöhung der anrechenbaren Mietzinse

Neu werden die Höchstmieten in drei Regionen (Grosszentren, Städte und ländliche Regionen) unterteilt. Die maximalen Mietzinse präsentieren sich künftig wie folgt:

Haushaltgrösse                                Grosszentren                   Städte                                   Ländliche Regionen

1 Person                                           CHF 1’370                       CHF 1’325                            CHF 1’210
2 Personen                                       CHF 1’620                       CHF 1’575                            CHF 1’460
3 Personen                                       CHF 1’800                       CHF 1’725                            CHF 1’610
ab 4 Personen                                  CHF 1’960                       CHF 1’875                            CHF 1’740

Krankenkassenprämien

Neu wird bei den Krankenkassenprämien die tatsächliche Prämie der obligatorischen Krankenversicherung berücksichtigt. Der bisherige Pauschalbetrag gilt nur noch als maximale Obergrenze.

Übergangsrecht

Bei Bezügern von Ergänzungsleistungen wird der bisherige aktuelle Anspruch noch während 3 Jahren beibehalten. Danach folgt eine Anpassung zu den tieferen Ergänzungsleistungen.

lic.iur. HSG Jürg Jakob, rtwp rechtsanwälte & notare, Rosenbergstrasse 42b, 9000 St. Gallen

 

Zur Übersicht