Unterhaltsrecht – neues Schulstufenmodell

22. Oktober 2018

Hinsichtlich der am 1. Januar 2017 erfolgten Einführung des Betreuungsunterhalts hat sich das Bundesgericht in einem neuen Grundsatzentscheid 5A_384/2018 vom 21. September 2018 dafür ausgesprochen, die bisherige 10/16-Regel durch ein sog. Schulstufenmodell zu ersetzen.

Nach bisheriger bundesgerichtlicher Rechtsprechung war es einem Elternteil, der sein Kind betreute, zumutbar, wieder zu 50 % einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wenn das (jüngste) Kind das 10. Lebensjahr vollendet hatte. Mit Vollendung des 16. Lebensjahres des (jüngsten) Kindes galt ein Vollzeiterwerb als zumutbar. Das Kantonsgericht St. Gallen erachtete die Anwendung dieser Richtlinie in seinem Grundsatzentscheid FO.2016.5 vom 15. Mai 2017 für den Betreuungsunterhalt implizit als nicht sachgerecht und entschied in Anlehnung an die Altersstufen im Betreibungsrecht, dass dem betreuenden Elternteil bis zum vollendeten 6. Lebensjahr des (jüngsten) Kindes überhaupt kein Arbeitspensum, bis zum vollendeten 12. Lebensjahr ein solches von 35 %, bis zum vollendeten 16. Lebensjahr ein solches von 55 % und danach ein Vollzeiterwerb zuzumuten sei.

Diese Ansätze des Kantonsgerichts St. Gallen hat das Bundesgericht mit dem erwähnten Urteil zulasten des betreuenden Elternteils erhöht und im Sinne einer Richtlinie entschieden, dass dem hauptbetreuenden Elternteil ab der obligatorischen Einschulung (je nach Kanton mit dem Kindergarten- oder dem Schuleintritt [im Kanton St. Gallen mit 4 Jahren, Stichtag am 31. Juli]) des jüngsten Kindes eine Erwerbstätigkeit von 50%, ab dessen Eintritt in die Sekundarstufe I eine solche von 80 % und ab Vollendung des 16. Lebensjahres ein Vollzeiterwerb zuzumuten ist. Dabei sind im Einzelfall nach richterlichem Ermessen Entlastungsmöglichkeiten durch freiwillige vor- oder ausserschulische Drittbetreuung (z.B. Kinderkrippe, Tagesmutter, schulergänzende Angebote etc.), aber auch eine erhöhte Betreuungslast (z.B. Behinderung des Kindes) zu berücksichtigen. Diese neue Richtlinie des Bundesgerichts findet sowohl auf den Betreuungsunterhalt wie auch auf den (nach-) ehelichen Unterhalt Anwendung.

Diese Klärung der Rechtsprechung stellt eine erhebliche Verschlechterung der Stellung des betreuenden Elternteils, meist der Mutter, dar. Eine solche Klärung der Rechtsprechung oder eine Praxisänderung durch die Gerichte gibt allerdings keinen Anspruch darauf, rechtskräftige Urteile im Sinne der neuen Praxis infrage zu stellen.

 

Lic. iur. Thomas Kern, Rechtsanwalt, Notar & Mediator SAV

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